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Coffee to stay? Vom ungenutzten Potenzial der zweiten Tasse Kaffee

Die zweite Tasse macht den Unterschied. Besser gesagt: Sie könnte ihn machen. Denn tatsächlich bleibt kaum jemand so lange sitzen. Warum das so ist – und was es bringen könnte, das zu ändern.

Dass der Kaffeekonsum in den letzten Jahren zurückgeht, hat viele Gründe – steigende Preise, der Hang zur allgemeinen Eiligkeit, und nicht zuletzt die Entwöhnung vom alltäglichen Luxusmoment im Kaffeehaus während der Pandemie. Viele Gastronomen sind ratlos – und vergessen dabei oft etwas ganz Wesentliches.

Die Rede ist vom Geschmackserlebnis. Wenn der Kaffee ein echter Genuss ist, entsteht automatisch der Wunsch nach einem zweiten – und damit der Mehrwert für den Gastronomen. Doch um einen guten Kaffee zu machen, braucht es neben Bohnen von solider Qualität vor allem ein fundiertes Expertenwissen und die dazugehörigen handwerkliche Fähigkeiten.

Die Grundlagen des guten Kaffees

„Ein guter Cappuccino gelingt, wenn alle fünf M stimmen: Mensch, Maschine, Mühle, Mahlgrad, Milch!“, erklärt Stefan Grumeth. Der Klagenfurter mit italienischen Wurzeln beschäftigt sich bereits seit 25 Jahren mit der Kunst des Kaffeemachens. 2018 verwirklichte er einen lang gehegten Traum und eröffnete das Boutique-Café Lichtspiel im Klagenfurter Stadtteil St. Ruprecht.

Eigentlich arbeitet Grumeth allerdings als Installateuermeister – und das merkt man. Während der Kaffeeexperte seine Slayer V2, eine handgearbeitete Maschine aus Amerika („die beste der Welt“, wie er überzeugt erklärt) vorführt, zeigt sich seine Begeisterung für die Technik. Es reiche nicht aus, eine Top-Maschine zu besitzen, erklärt er – es komme auf die Qualität der Mühle an, auf den Mahlgrad, auf den Druck. Über kleine Spiegel, die an der Maschine angebracht sind, beobachtet der Cafetier, wie der Kaffee aus der Maschine rinnt. Daran erkennt er, welche Einstellungen er anpassen muss. Wenn beispielsweise der Luftdruck schwankt, kann es durchaus vorkommen, dass er drei- bis fünfmal am Tag den Mahlgrad, die Kaffeemenge oder den Druck der Maschine anpasst.

Café Lichtspiel (Foto: Lichtspiel)

Und genau hier liege das Problem bei vielen Kaffeehausbetrieben, so Grumeth. Denn im Gegensatz zum klassischen Barista in Italien wüssten in Österreich viele Angestellte im Gastronomiebereich nicht, wie sie mit den Maschinen umzugehen hätten. Es fehle an Weiterbildung, am Anspruch der Betreiber, an interessierten Mitarbeitern.

„Es ist die Begeisterung des Gastwirts gefragt – und die Schulung seines Personals“, meint Grumeth, und ergänzt: „Und im Gastgewerbe gilt natürlich wie überall: Wer gut bezahlt wird, ist motivierter.“  

Fehlerquellen und Finetuning

Ein ungeschulter Umgang führt dagegen schnell zu dem, was umgangssprachlich als „Gschloder“ bezeichnet wird – zu dünn, zu säuerlich, zu bitter. Die Ursachen sind vielfältig. Ein saurer Geschmack kann beispielsweise schon durch die industrielle Röstung entstehen, die üblicherweise bei 700 °C durchgeführt wird, dabei aber nur 60 bis 90 Sekunden dauert. „Das ist fürchterlich“, konstatiert Grumeth – denn bei diesen Temperaturen kommt es oft genug vor, dass die Bohnen außen verbrannt werden, innen aber roh bleiben. Dadurch bleiben die für Kaffeebohnen typischen Chlorogensäuren erhalten, was dem Kaffee einen säuerlichen Geschmack verleiht und Magenreizungen verursachen kann. Außerdem gehen durch die große Hitze Aromen verloren; eine schonende Röstung dagegen erzeugt die beliebten „dunklen“ Röstaromen, wie sie etwa für den italienischen Espresso typisch sind.

Viele weitere Fehler können bei der Zubereitung entstehen. Besonders wichtig ist die Abstimmung von Extraktionszeit – also der Zeit, während der das Wasser durch das Kaffeepulver fließt – und passendem Mahlgrad. Ist der Kontakt, wie etwa bei einer Espresso- oder Siebträgermaschine, mit 20 bis 25 Sekunden relativ kurz, so muss das Pulver deutlich feiner gemahlen sein als bei einer Filterkaffeemaschine, die mehrere Minuten lang extrahiert. Um den perfekten Mahlgrad zu erwischen, ist es nötig, den Kaffee beim Herausrinnen genau zu beobachten, und dementsprechend mehrmals täglich Feinjustierungen beim Mahlgrad vorzunehmen. Bei Profi-Maschinen wie jener von Stefan Grumeth ist es zudem möglich, den Druck per Hand anzupassen, während der Kaffee durchläuft. Das beeinflusst wiederum den Geschmack – bei höherem Druck ist die Extraktion intensiver, bei schwächerer Extraktion mit niedrigerem Druck können sich die Aromen anders entfalten.

Kaffee

Maschinen wie die Slayer würden das Budget vieler Betriebe bei Weitem sprengen. Der Preis für ein gutes Gerät liegt zwischen 7 000 und 10 000 €, Spitzenklasse-Siebträger können durchaus 25 000 € kosten. Viele Gastronomiebetriebe können sich solche Investitionen nicht leisten – schon gar nicht in der Anfangsphase. Deswegen ist es in der Gastronomie üblich, abnahmegebundene Verträge mit großen Kaffeeunternehmen wie Hausbrandt oder Segafredo abzuschließen. Betriebe können dabei eine Kaffeemaschine leasen und verpflichten sich zugleich, den Kaffee der betreffenden Rösterei zu verwenden. Der Kilopreis ist mit rund 35 € ähnlich wie jener, den Stefan Grumeth für seinen Kaffee zahlt – die Maschine samt Wartung ist dabei allerdings inklusive. Grumeth zufolge kann dieses etwa in Italien weit verbreitete Geschäftsmodell durchaus sehr gut funktionieren – sofern die Baristi wissen, was sie tun.

Problematisch seien dagegen die ebenfalls beliebten Kaffee-Vollautomaten. Abgesehen davon, dass es solchen Maschinen an Möglichkeiten zur Feinjustierung mangele, sei vor allem die Hygiene kaum zu gewährleisten: „Wenn man nach fünf Jahren so einen Automaten zerlegt, erlebt man seine grünen, blauen, gelben, schwarzen Wunder“, so der Kaffeemeister mit Installateur-Expertise. Denn sowohl beim Mahlen als auch bei der Zubereitung setzt Kaffee Öle frei, die sich in der Maschine ablagern und irgendwann zu schimmeln beginnen. Dasselbe gelte für Milchrückstände, die sich durch fehlende Sorgfalt leicht bilden können. Der entsprechende Geschmack sei aus der Maschine nur schwer wieder herauszubekommen.

Die Kunst des guten Geschmacks

„Am wichtigsten ist die Mühle“, wiederholt Stefan Grumeth, und meint sowohl das Gerät als auch dessen korrekte Bedienung. Doch die Beobachtung des Baristas bei der Arbeit zeigt, dass es letztendlich eine Summe aus vielen Details ist, die zu einem exzellenten Kaffee mit voll entfaltetem Aroma führt: Das Sieb soll fein gelaserte Löcher haben, das Wasser soll nicht zu hart sein, die Tassen im Vorhinein angewärmt, die Kaffeemenge genau abgestimmt.

Ähnlich wie für Wein gibt es auch für Kaffee ein Aromarad, mithilfe dessen Hilfe eine Vielzahl von enzymatischen und karamellisierten Aromen sowie Fehlaromen aus der Trockendestillation unterschieden werden kann. Die Bandbreite reicht von Beeren und Kernobst über Gewürze und Kräuter bis hin zu Kakao- und Nussaromen. Über 1600 Aromen seien bereits bekannt, Schätzungen zufolge gebe es aber mehr als 3000, so Grumeth.  

Damit sich diese Aromen wirklich entfalten können, müsse vor allem die Verarbeitung und die Zubereitung im Café stimmen. Natürlich sei auch das Ausgangsprodukt wichtig – ein gewisser Qualitätsstandard sei hier zweifellos von Bedeutung. Dennoch wiederholt der Experte: „Es liegt gar nicht so stark an der Bohne, einen durchschnittsguten, italienischen Kaffee auf den Tisch zu bringen, sondern an der Ausbildung des Baristas“.

Aber wie steht es eigentlich um die Rolle der Konsumenten? Wird eine solche Liebe zum Detail, ein solches Finetuning von den Gästen entsprechend gewürdigt? Kann der Durschnitts-Kaffeetrinker diese Nuancen überhaupt wahrnehmen, ohne eine Ausbildung zum Cafetier gemacht zu haben?

Ja, ist Grumeth überzeugt. „Die Leute schmecken den Unterschied“, meint er. Und bleiben oft genug für die berüchtigte zweite Tasse.

Cafetier Stefan Grumeth bei der Arbeit (Fotos: Lichtspiel)

Klagenfurter Qualitätskaffee

Stefan Grumeth röstet seine Bohnen selbst – 20 Minuten bleiben sie bei mittlerer Temperatur in der hauseigenen Trommelmaschine und werden dann schonend gekühlt – eine dunkle, „mittelitalienische“ Röstung, die im Gegensatz zur helleren „Wiener“ Röstung den typischen Espresso-Geschmack trägt. Der Kaffee stammt aus Kuba, Sumatra, Mexiko, Südindien oder Afrika, Grumeth achtet auf Bio-Qualität und Fairtrade, was auch die Kunden freut. Sein persönlicher Favorit ist ein Mexikaner, Flat White: „Da könnte man tanzen, so schön ist der“.

Das Café Lichtspiel ist mit viel Liebe zum Detail eingerichtet, gemütlich, bunt, heimelig. Oft läuft Musik, die Kundschaft kennt sich, Gespräche entstehen, die Atmosphäre ist familiär. In den Hinterzimmern stapeln sich Kaffeesäcke und -packungen in den Regalen hinter der Trommelröstmaschine. Die Qualität des Kaffees, aber auch der Kuchen und anderer Speisen hat sich schon herumgesprochen, abends gibt es zu den Weinspezialitäten von Georgs Salon manchmal sogar Livemusik.

Genießen im Café Lichtspiel (Foto: Andreas Pietsch)

„Die Menschen wollen Geschichten hören“, ist Grumeth überzeugt. Wer wisse, was er trinkt, und warum es sich dabei um etwas Besonderes handelt, wird glücklich nach Hause gehen – das gelte für Kaffee genauso wie für andere Genussprodukte wie Wein oder Kulinarikspezialitäten. Während die Siebträgermaschine brummt, zieht der Duft von frischem Kaffee durchs Lokal. Dass er so viel Augenmerk auf die Facetten der Zubereitung legt, habe keinen Einfluss auf die Wartezeit, so Grumeth: „Es sind genau gleich viele Handgriffe – nur sind es dann eben die richtigen“.

Da er selbst röstet, konnte er es sich leisten, der allgemeinen Preiserhöhung beim Kaffee nicht zu folgen. Doch auch sonst will er das Kostenargument als Rechtfertigung für schlechte Qualität nicht gelten lassen: „Es gibt für einen Betrieb keinen Kostenunterschied zwischen einem guten Kaffee und einem schlechten – das sind Fehler in der Verarbeitung“. Eine gute Ware zu bieten, zahle sich immer aus, so Grumeth: „Wenn du den Preis unten hast und einen guten Kaffee bietest, werden die Leute bei dir mehr Kaffee trinken – weil er schmeckt!“

Das Potenzial der zweiten Tasse – hier wird es zweifellos genutzt.

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