GENUSSBLICK ÜBER DIE GRENZEN: Einzigartige Weinsorten, die man sonst nirgends findet.
Mitten im Friaul, am Fuße der friulanischen Dolomiten und an den Ufern des Tagliamento, liegt ein ganz besonderes Weinbaugebiet, das von der Begeisterung, dem aufrichtigen Interesse und dem Know-how seiner Besitzer lebt. Im Gespräch mit Lorenzo Bulfon dürfen wir Ihnen dieses Ausnahme-Weingut vorstellen.
1000 Euro und mehr für eine Flasche Essig?
Aceto Balsamico – das süßsaure Geheimnis auf den Dachböden Modenas
Empfohlen von unserem Genussexperten Walter Celotti aus dem Friaul
Tauchen Sie mit uns ein in die Besonderheiten und faszinierenden Geschmackserlebnisse Norditaliens. Heute machen wir einen Ausflug nach Emilia-Romagna. In den Städten Modena und Reggio Emilia wird seit Jahrhunderten die Tradition der Balsamicoessig-Zubereitung gepflegt.
„Man kann die Augen aufmachen, wo man sie früher geschlossen hatte“, sagt Walter Celotti – und was im Allgemeinen gelten kann, gilt umso mehr für das Thema Essig. Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, wie sich die verschiedenen Essigprodukte im Supermarkt unterscheiden? Warum manche mehr kosten als andere, oder warum bei einem Fläschchen die Herkunft erwähnt ist, beim anderen nicht? Hinter diesen scheinbaren Oberflächlichkeiten steckt die Geschichte eines faszinierenden Produkts mit langer Tradition, das seit Jahrhunderten fest in der kulinarischen Welt Norditaliens und darüber hinaus verankert ist.

Walter Celotti, Genussexperte aus dem Friaul (Foto: Celotti)
Namensfragen
Bei den Balsamicoessigen im Supermarktregal lassen sich, basierend auf der Bezeichnung, vor allem zwei Gruppen ausmachen: Solche, die einfach nur Balsamico heißen, je nach Design eventuell mit der Angabe von Merkmalen der Geographie, der Produktion oder sonstigen werbewirksamen Eigenheiten. Und solche, die stur an dem langen Titel Aceto Balsamico di Modena festhalten, manchmal sogar noch ergänzt um den Zusatz „invecchiato“.
Hintergrund dieser Namensunterschiede ist das EU-System der geschützten geographischen Angaben (ital. „Indicazione Geografica Protetta“, kurz IGP) bzw. geschützten Ursprungsbezeichnungen (ital. „Denominazione di Origine Protetta“, kurz DOP), die eine Nachahmung regionstypischer Produkte innerhalb der EU verhindern sollen. Es ist also kein Zufall, wenn der Essig im Supermarktregal nicht einfach nur Balsamico, sondern Aceto Balsamico di Modena heißt – im Gegenteil garantiert diese Bezeichnung die vollständige Herstellung des Essigs in seiner Ursprungsregion, der Provinz Modena. Doch wozu die ganzen Umstände? Was ist eigentlich so besonders an diesem italienischen Salatdressing? Fangen wir am Anfang an.
aceto balsamico – tradizionale!
Alles beginnt mit den Trauben. Lambrusco, San Giovese oder Trebbiano, Spätlese aus der Region. Der daraus hergestellte Most wird gekocht. Wenn ein dickflüssiger Sirup entstanden ist, geht es erst richtig los. Durch Zugabe von einem Anteil mindestens zehn Jahre alten Balsamico-Essigs und dessen Bakterienkulturen sind die Voraussetzungen für einen neuen Fermentationsprozess gegeben. Wer diesen Vorgang beobachten will, braucht Geduld: Mindestens 60 Tage wird das entstandene Gemisch in Holzfässern gelagert, bevor von einem fertigen Aceto Balsamico die Rede sein kann. Wird die Fermentationszeit auf drei Jahre erhöht, darf der Essig den Zusatz „invecchiato“, also gealtert, im Namen führen. Dennoch ist Aceto Balsamico di Modena an sich ein Massenprodukt, das in jedem Supermarkt um wenige Euro zu haben ist.
Ganz anders sieht die Sache aus, wenn ein Essig den Zusatz „tradizionale“ im Namen trägt. Dieser zusätzliche Hinweis (DOP) zeichnet jene Balsamicoessige aus, deren Entstehungsprozess noch um ein Vielfaches komplexer war. Im Essig dürfen keinerlei Zusatzstoffe enthalten sein – die Produkte werden behördlich geprüft, in eigens hergestellte Fläschchen abgefüllt, mit Nummern versehen und versiegelt. Und das wichtigste: Anstatt nur 60 Tage müssen diese Essige mindestens zwölf Jahre (!) gereift sein, bevor sie verkauft werden. Eine fast unglaubliche Zeitspanne – und umso unglaublicher in Zeiten der Kurzlebigkeit und der Massenproduktion.
Während dieser ausgedehnten Reifezeit schlummern die Essige jedoch keineswegs halb vergessen in dunklen Kellern. Statt unter den Füßen der Bewohner:innen werden sie hoch über deren Köpfen gelagert. Auf den zugigen Dachböden, die in der Region Emilia-Romagna übers Jahr hinweg großen Temperaturschwankungen ausgesetzt sind, treten die Essige eine Reise von Fass zu Fass an, die in vielen Fällen nicht nach zwölf Jahren endet. Wie Walter Celotti verrät, verbleiben einzelne Essigraritäten für bis zu 100 Jahre im Fermentationsprozess, bevor sie sorgfältig in kleine Fläschchen abgefüllt werden.
„Dieser Artikel hat mich besonders gefreut, denn für mich ist ein Balsamico der Extraklasse eines der größten Geschmackserlebnisse, bei dem ein Tropfen eine Delikatesse oder ein Gericht in eine neue Dimension hebt. Deshalb führe ich in meinem Feinkostladen Krambu seit langem den Cremonini Aceto Balsamico Traditionale Di Modena DOP in der Qualität Extra Vecchio, also mindestens 25 Jahre im Fass gealtert, in 100 ml Flaschen um € 125,00.
Ich finde die Ausarbeitung des Artikels sehr gut – aber es steht noch viel Arbeit an um diesen Wert erkennbar zu gestalten.
Mit freundlichen Grüßen,
Øyvind Seeberg
Geschäftsführer“

Øyvind Seeberg, Geschäftsführer von Krambu (Foto: Seeberg)

Entstehungsprozess | (cc) Tutela ABTM/Wikimedia

Balsamico mit Käse | (cc) Cristiano Carli/Flickr
Der Verkauf steht dabei selten im Vordergrund – eine solche Rarität ist so wertvoll, dass sie mehr als Wertanlage denn als Lebensmittel zu verstehen ist. „Früher hat jede Bauernfamilie mit Weingarten ihren eigenen Essig zubereitet“, erzählt Celotti. „Immer wenn ein Kind oder ein Enkel auf die Welt gekommen ist, wurde eine neue batteria Fässer gemacht. Der Essig ist gemeinsam mit dem Kind gewachsen, und wenn das Kind erwachsen war, hatte es eine finanzielle Absicherung. Es war wie ein Sparbuch“, so der Kulinarikexperte.
Schon die Zusammenstellung einer solchen batteria, also einer Serie oder Reihe an Fässern, fordert das kompositorisch Geschick der Produzent:innen. Einmal im Jahr wird ein reifender Essig vom aktuellen Fass in das darauffolgende überstellt. Dabei ist es wichtig, dass das Fass zu maximal zwei Dritteln gefüllt ist, um ausreichend Kontakt mit Sauerstoff zu gewährleisten. Am Beginn der Produktion, wenn viel Flüssigkeit vorhanden ist, werden größere Fässer aus weicheren Hölzern eingesetzt, damit die Flüssigkeit schneller verdunsten kann. Im Laufe der Zeit werden die Fässer immer kleiner und die Hölzer härter. Verwendet werden im Lauf eines Produktionsprozesses etwa Edelkastanie, Vogel-Kirsche, Esche oder Maulbeere – die individuelle Auswahl und Reihenfolge der Holzarten nimmt dabei unweigerlich Einfluss auf den Geschmack des Endprodukts und ist in vielen Betrieben ein gut gehütetes Produktionsgeheimnis.
Essigraritäten, die auf diese Weise produziert wurden, sind – vor allem wenn sie den nach 25-jähriger Reifung verliehenen Zusatz „extra invecchiato“ tragen dürfen – äußerst selten. Im Supermarkt findet man sie keinesfalls, dafür aber in ausgewählten Delikatessengeschäften oder direkt bei den Produzenten. Um einen fast hundertjährigen Essig aufzuspüren, braucht man allerdings eine besondere Portion Glück.
So wie Walter Celotti: Auf einer italienischen Raritätenmesse kam er mit einem Balsamicoproduzenten ins Gespräch. Als dieser Celottis Interesse bemerkte, holte er eine kleine Ampulle unter dem Verkaufstisch hervor – ein unverkäufliches Exemplar eines dickflüssigen, fast hundertjährigen Essigs. Ein Geschmackserlebnis, das Celotti bis heute lebhaft in Erinnerung geblieben ist: „Ich kann versuchen, es zu beschreiben, aber eigentlich müssten Sie es selbst kosten, um zu verstehen, was für Produkte das sind. Es ist wie ein ganz alter Cognac oder Whisky, oder wie eine wertvolle Trockenbeerenauslese, eine ganz besondere Sache. So etwas muss man in Meditation kosten.“
„Es ist wie ein ganz alter Cognac oder Whisky, oder wie eine wertvolle Trockenbeerenauslese, eine ganz besondere Sache. So etwas muss man in Meditation kosten.“ (Walter Celotti)
Vorzügliche Geschichte
Bei einem Produkt, dessen Entstehung hundert Jahre dauern kann, überrascht eine bis ins Altertum zurückreichende Geschichte kaum. Bereits aus dem Alten Ägypten gibt es Darstellungen von Menschen, die Traubenmost kochen. Ein paar Jahrhunderte später beschreibt Vergil dieselbe Praxis, und der antike Feinschmecker Marcus Gavius Apicius erzählt von der Verwendung dieses gekochten Mostes für die Zubereitung von Speisen. Auch zur Konservierung von Speisen und in der Medizin wurde der eingekochte Traubenmost verwendet.
Wirklich an Fahrt nahm die Geschichte des Balsamicoessigs allerdings im Mittelalter auf. Im Jahr 1.046 reiste Heinrich III. nach Rom, um dort vom Papst zum Kaiser des Heiligen Römischen Reichs gekrönt zu werden. Dabei machte er einen Zwischenstopp in der Po-Ebene, wo ihm Bonifacio, der Marquis der Toskana, einen „vorzüglichen Essig“ überreichte. Die Kunde von der Vorzüglichkeit des Produktes verbreitete sich schnell, und bald galt der besondere Essig aus Norditalien im ganzen Reich als Delikatesse. Daran hat sich seither wenig geändert: In Modena und Reggio Emilia, den Heimatstädten des Balsamico-Essigs, gibt es Familien, die teilweise seit dem frühen 17. Jahrhundert auf diese sorgfältige Art der Essigproduktion spezialisiert sind – und seit dieser Zeit dieselben Fässer verwenden.
Zwischen Alltagsgewürz und Luxusgut
Balsamicoessig tradizionale ist ein Beispiel dafür, dass jede Dynamik eine Gegenbewegung erzeugt: Denn je schneller der Zeitgeist, umso größer wird der Wert der Langsamkeit. Mit Industrieessig aus dem Supermarkt, der oft aus Weinessig, Getreide oder Obst hergestellt und mit Zusatzstoffen wie Karamell versetzt ist, hat ein echter Aceto Balsamico Tradizionale di Modena kaum etwas zu tun. Er ist dickflüssig, fast sirupartig und voll mit hochkonzentriertem Geschmack – ein einziger Tropfen genügt für ein unvergessliches Genusserlebnis. Ein solches Produkt für ein Salatdressing zu verwenden, käme einem Hochverrat gleich. Stattdessen kostet man es gesprenkelt auf frische Erdbeeren, Vanilleeis oder italienischen Parmesan – sofern man denn im Leben einmal die Gelegenheit dazu bekommt.